K1024_GA_22-06-16THEO-KOCH-SCHULE Lindita, Valmir und Valmira Beqiri müssen zurück in den Kosovo / Abschiebung trotz Operationstermin

Gießener Anzeiger vom 22.06.2016, Seite 36

Grün­berg (red). Die zwölf­jäh­ri­ge Lin­di­ta Be­qi­ri übt den Kon­junk­tiv II. Ih­re Leh­re­rin er­klärt, dass wir den Kon­junk­tiv II im Deut­schen haupt­säch­lich dann ver­wen­den, wenn wir uns et­was vor­stel­len oder wün­schen, das zur­zeit nicht mög­lich ist. „Ich wünsch­te, mei­ne Fa­mi­lie könn­te in Deutsch­land blei­ben“, no­tiert Lin­di­ta feh­ler­frei in ihr Übungs­heft.

Zu­sam­men mit ih­rer äl­te­ren Schwes­ter und ih­rem äl­te­ren Bru­der be­sucht Lin­di­ta seit Herbst 2015 ei­ne der In­ten­siv­klas­sen der Theo-Koch-Schu­le in Grün­berg. Zu­sam­men mit ih­rer Fa­mi­lie floh sie vor an­der­thalb Jah­ren aus dem Ko­so­vo nach Deutsch­land.

Sie lebt mit ih­ren El­tern und ih­ren fünf Ge­schwis­tern in ei­ner Ge­mein­schafts­un­ter­kunft in ei­nem Orts­teil Reis­kir­chens. Seit we­ni­gen Ta­gen steht fest, dass sich ihr Wunsch nicht er­fül­len wird. Schon am Don­ners­tag wird die Fa­mi­lie ab­ge­scho­ben.

Dass es schwer wer­den wür­de, in Deutsch­land blei­ben zu dür­fen, war von An­fang an auch den El­tern klar ge­we­sen – spä­tes­tens seit der Ko­so­vo zu ei­nem si­che­ren Her­kunfts­staat er­klärt wur­de. Trotz­dem sei der Fall Be­qi­ri ein spe­ziel­ler Fall, er­klär­te Leh­re­rin Ali­ce Wer­ner. Denn Val­mir, Lin­di­tas Bru­der, lei­de an ei­ner schwe­ren Krank­heit. Soll­te er nicht bald­mög­lichst ope­riert wer­den, prog­nos­ti­zier­ten die Ärz­te den Ver­lust sei­ner Geh­fä­hig­keit. Val­mir wer­de al­so al­ler Wahr­schein­lich­keit nach im Roll­stuhl lan­den, wenn ihm nicht ge­hol­fen wer­de.

Über­ra­schend sei die Ab­schie­bung, weil die Wei­chen für die Ope­ra­ti­on in ei­ner Spe­zi­al­kli­nik in Dort­mund be­reits ge­stellt wa­ren. Der Land­kreis Gie­ßen ha­be die Kos­ten­zu­sa­ge für die Ope­ra­ti­on nach Prü­fung durch das Ge­sund­heits­amt be­reits er­teilt, der Ter­min ste­he eben­falls schon fest.

Im No­vem­ber soll­te es so weit sein. Die Aus­län­der­be­hör­de ha­be die Dul­dung der Fa­mi­lie im Lau­fe des ver­gan­ge­nen Jah­res re­gel­mä­ßig ver­län­gert und da­durch Hoff­nung ge­weckt und Zu­ver­sicht auf­kom­men las­sen. Au­ßer­dem ha­be es ganz da­nach aus­ge­se­hen, dass Val­mirs Ope­ra­ti­on auch asyl­recht­lich durch das Auf­ent­halts­ge­setz ab­ge­si­chert sei. Ei­ne Aus­set­zung der Ab­schie­bung sei da­nach in ei­nem sol­chen Fall vor­zu­neh­men, der bei Nicht­be­hand­lung zu schwers­ten ge­sund­heit­li­chen Be­ein­träch­ti­gun­gen füh­re be­zie­hungs­wei­se sich „durch die Ab­schie­bung we­sent­lich ver­schlech­tern wür­de“.

Trau­rig ver­ab­schie­den sich Leh­re­rin­nen und Mit­schü­ler von Lin­di­ta, Val­mir und ih­rer Schwes­ter Val­mi­ra, drei vor­bild­li­chen und be­gab­ten Schul­kin­dern. Es sei auch ein Ab­schied vol­ler Angst und Per­spek­tiv­lo­sig­keit. Denn für Val­mi­ra wer­de die Schul­bil­dung in der Hei­mat spä­tes­tens im näch­sten Jahr en­den, wenn auf die Fa­mi­lie un­trag­ba­re Kos­ten für ei­nen Platz an ei­ner wei­ter­füh­ren­den Schu­le zu­kom­men wür­den.