VORTRAG Zeitzeuge Dietmar Schultke berichtet Theo-Koch-Schülern, wie es im einstigen kommunistischen Osten Deutschlands zuging
Gießener Anzeiger vom 27.03.2017, S. 19
GRÜNBERG (atb). Wie war das Leben unter der kommunistischen Diktatur in Ostdeutschland? Zeitzeuge Dietmar Schultke informierte im Museum im Spital zwei neunte Klassen der Theo-Koch-Schule. Der Politikwissenschaftler und Autor der Bundesstiftung zur Aufarbeitung als DDR-Zeitzeuge stieg mit einer rhetorischen Frage in das komplexe Thema ein: „Warum haben Menschen als größte Bauwerke auf der Welt bislang Mauern geschaffen und nichts sinnvolleres?“
Er wollte danach von den Schülern wissen: „Wozu könnte der ,Eiserne Vorhang’ den DDR-Machthabern gedient haben?“ Die jungen Zuhörer lieferten Stichworte wie „Meinungsfreiheit“, „keine Bürger verlieren“ und „Pressefreiheit“. Der Referent erläuterte, dass von der kommunistischen Partei die Meinung im Staat vorgegeben worden sei und damit habe es auch keine Pressefreiheit geben können. Das sei auch heute noch andernorts so. In China könne der Google-Zugang schwierig sein, weil dort zensiert werde. Menschen würden für ihre andere Meinung eingesperrt. In Nordkorea sei die Zensur durch den Staat noch viel weitergehender.
28 Jahre habe es die Berliner Mauer gegeben. Eine 170 Kilometer Grenze wurde, so erfuhren die Schüler, um Westberlin gezogen. Der Stacheldraht auf der Mauer, der zu Beginn teilweise auch anstelle von Mauerwerk verwendet worden war, sei in der DDR Mangelware gewesen und in Westdeutschland gekauft worden.
Mit Fotos von der wachsenden Mauer, Berichten vom Schießbefehl der Soldaten, die illegale Grenzgänger töten mussten, Minen, einem erschossenen Bauarbeiter oder Erzählungen von Fluchtversuchen mit Ballon, Boot, Geheimverstecken in Fahrzeugen oder Tunneln, führte Schultke das totalitäre Regime damaliger Zeit vor Augen.
Man habe sein Leben wie in einem Aquarium, abgeschirmt von der Außenwelt, geführt. Die Wartezeit für ein Auto, das als Luxusgut galt, habe zwölf Jahre betragen. Im Alter von 18 Jahren sei man berechtigt gewesen eines zu bestellen, im Alter von 30 Jahren habe man es dann abholen können. Die Schüler lachten, da solche Erzählungen in heutiger Zeit unbegreiflich erscheinen. Der Redner erreichte sein Publikum, während er immer wieder Bezüge herstellte, die Frage nach dem globalen Frieden stellte und das Wettrüsten thematisierte und sich geschichtlich auch mit der Gegenwart auseinandersetzte.
Die Veranstaltung wurde vom koordinierenden Zeitzeugenbüro vermittelt. Diese Einrichtung ist eine gemeinsame Servicestelle der „Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen“, der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Stiftung „Berliner Mauer“, gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Der Vortrag fand im Rahmen der Sonderausstellung des Museums „Ausreis(ß)en oder Dableiben – Fluchtwege vor der Grenzöffnung 1989“ statt, die am Wochenende endete.