Sie treiben Sport, treffen sich gerne mit Freunden. Sie haben Wünsche an ihr Leben, und sie haben Ängste. Sie sind jung, stehen kurz vor dem Abitur. Bis zur Rente ist es noch ein weiter Weg. Dennoch reden sie über Altersarmut. Sie machen sich Sorgen um unseren Planeten, haben konkrete Vorstellungen von Politik. Und sie reden offen darüber. Auch mit Journalisten dieser Zeitung.

Gießener Allgemeine Zeitung vom 19.09.17

Theo-Koch-Schule (TKS) in Grünberg an einem Tag im September. Wir treffen fünf Oberstufenschüler eines PoWi-Leistungskurses und ihre Lehrerin Monja Steuger. Treffpunkt in der TKS ist das Aquarium (mit Fischen), ganz in der Nähe von Sekretariat und Lehrerzimmer. Dort holt uns Monja Steuger ab. Sie ist voll des Lobes über ihre Schüler, und das Projekt Bundestagswahl ist ihr ein Herzensanliegen. »Wir haben gerade das Thema Parteien. Und wir machen mit bei den Juniorwahlen, das heißt, die Jahrgänge neun bis 13 simulieren die Wahl.«

Die fünf Schüler haben gerade eine Klausur geschrieben und schon sechs Schulstunden hinter sich. Aber sie sind wach und interessiert. Zwei junge Frauen und drei junge Männer sitzen uns gegenüber. Jan-Henrik ist 17, er trifft sich gerne mit Gleichaltrigen. Emma, auch 17, tanzt in der Garde und ist im Schwimmverein. Tanzen ist auch das Hobby von Svenja, 17. Jakob ist 18, darf also wählen. Er ist Basketballer. Bleibt Jannis, 17, er spielt in Gießen Football.

Bei den fünf Schülern gibt es aktuell eine Präferenz für die SPD, die FDP findet auch Zuspruch. Alle haben sich das TV-Duell angeschaut. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat vielen imponiert, aber die Kanzlerin wurde für ihre Arbeit auch sehr gelobt. Angela Merkel habe eine guten Job gemacht. Doch der Reihe nach.

Wagen Sie eine Prognose für den Ausgang der Wahl?

Jannis: Ich glaube, dass sich das zwischen CDU und SPD entscheiden wird. Die AfD wird stark sein, die FDP gegenüber 2013 zulegen.

Jakob: Merkel wird Kanzlerin bleiben, aber sie wird eine Koalition eingehen müssen. Ich schätze, dass es wieder eine große Koalition geben wird.

Svenja: Frau Merkel wird gewinnen. Ich bin fast sicher, dass es wieder eine große Koalition gibt. Es kommt aber letztlich auch sehr auf das Abschneiden der kleinen Parteien an.

Emma: Viele Bürger sind noch unentschlossen. Also ich glaube, es ist noch nichts entschieden.

Jan-Henrik: CDU und SPD werden vorne sein, dahinter ist alles offen.

Haben Sie eine Wunschkoalition?

Jan-Henrik: Nein, nicht so direkt.

Emma: Rot-Grün.

Svenja: Ich auch.

Jakob: Rot-Rot.

Jannis: FDP und CDU.

Sie haben PoWi als Leistungsfach gewählt. Was ist für Sie spannend an Politik?

Jannis: Es geht viel auch um aktuelle Politik. Damit kann man im Alltag mehr anfangen, als wenn man deutsche Gedichte analysiert. Ist einfach lebensnaher.

Jakob: Ist auch meine Meinung. Ich finde es gut und wichtig, darüber nachzudenken, was uns die Zukunft bringt.

Svenja: Es ist doch die Frage: Was bringt einem die Schule? Im Fach PoWi lerne ich etwas über die Welt. Ich bin einfach gut informiert.

Emma: Was man in PoWi lernt, braucht man für die Zukunft. Ich möchte auch wissen, wie es in anderen Ländern aussieht. Ich möchte die Meinung von anderen hören und darüber diskutieren.

Jan-Henrik: Ich glaube, dass man mit PoWi eher auf einem aktuellen Stand ist, sich einfach mehr informiert.

Wie und wo engagieren Sie sich?

Jan -Henrik: Im Moment engagiere ich mich nicht.

Emma: Ich engagiere mich im Sportverein, betreue kleine Kinder, mache Spielstunden.

Svenja: Ich engagiere mich auch im Verein, trainiere mit anderen Showtanzgruppen.

Jakob: Ich bin Basketball-Jugendtrainer.

Jannis: Arbeite hier mit an dem Projekt »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage«.

Wenn man Ihnen ein Regierungsamt anbiete würde, also Kanzler oder Minister, welches würden Sie wählen?

Jannis: Ich glaube, ich würde Bildungsminister werden. Ich denke, dass man da am meisten für die Jugend bezwecken kann.

Jakob: Ich möchte das auch. Im ganzen Schulsystem könnte einiges besser laufen.

Svenja: Ich bin unsicher. Generell ist es ja so, dass Politiker nicht das beste Ansehen haben. Ich weiß nicht, ob ich damit umgehen könnte, wenn alle auf mir rumhacken.

Emma: Ich würde Außenministerin werden, weil ich gerne Kontakt zu Menschen im Ausland habe.

Jan-Henrik: Umweltminister! Genau in dem Bereich müsste sich noch enorm viel tun.

Und was würden Sie dann in Ihrem neuen Amt zuerst bewegen?

Jan-Henrik: Ich würde die Elektroautos mehr fördern, auch für die Infrastruktur sorgen, für die Tankstellen und so weiter.

Emma: (lacht) Ich werde ja Außenministerin. Ich würde mich auf die Konflikte mit Russland und mit der Türkei konzentrieren. Und mich mehr um die Flüchtlingspolitik kümmern.

Svenja: Ich würde mich dafür einsetzen, dass die EU stärker zusammenwächst. Ich finde es schade, wenn Länder austreten.

Jakob: Zuerst würde ich mehr Lehrer einstellen. Es fällt immer noch viel Unterricht aus, meist erfährt man das erst zu spät. Ich würde auch einige Dinge am Stundenplan und an den Fächern ändern. Vieles, was wir lernen, ist nicht alltagsbezogen. Ich kann zwar ’ne gute Gedichtanalyse schreiben, weiß aber nicht, wie man eine Steuererklärung macht.

Jannis: Ich würde ein Einheitsabitur einführen. Schüler sollten nicht benachteiligt werden, weil sie ihr Abitur in einem bestimmten Bundesland geschrieben haben. Das muss unbedingt angeglichen werden.

Was war Ihrer Meinung nach die herausragende Leistung der großen Koalition in den zurückliegenden vier Jahren?

Jannis: Ich würde da den Griechenland-Konflikt, also insgesamt die Euro-Krise nennen. Das hat unsere Regierung gut gemanagt.

Jakob: Da stimme ich zu. So viel hat sich aber auch nicht verändert in den vier Jahren. Das liegt daran, dass es uns ja sehr gut geht.

Svenja: Ich finde, dass die Koalition, auch wenn sie oft kritisiert wurde, gute Arbeit geleistet hat. Meiner Meinung nach ist es richtig, dass Deutschland so viele Flüchtlinge aufgenommen hat.

Emma: Ich nenne auch mal den Euro-Schutzschirm. Und dass es für Flüchtlinge keine Obergrenze gibt. Wenn jemand Hilfe braucht, muss man sie ihm auch gewähren.

Jan-Henrik: Würde mich auch auf das Flüchtlingsthema beziehen. Insgesamt hat die Koalition einen guten Job gemacht.

Sie haben jetzt alle viel Lob ausgesprochen, aber gibt es auch Defizite?

Jan-Henrik: Die Wohnungssituation ist schlecht, gerade in den Städten sind die Wohnungen viel zu teuer. Da muss die Regierung unbedingt Abhilfe schaffen, damit Wohnraum wieder erschwinglich wird.

Emma: Defizite sehe ich im Bereich Bildung. Wir brauchen Fächer wie Informatik für jeden verpflichtend. Das gehört heute zu den Grundlagen im Bereich Bildung. Außerdem müssen die Lehrbücher gleich sein, die sollten auch überall vom Staat finanziert werden. Und ein deutschlandweites Abitur muss her.

Svenja: Wir müssen uns mehr auf die Umwelt konzentrieren, wir haben ja nur diesen einen Planeten. Auch ich bin dafür, dass wir mehr in E-Autos investieren.

Jakob: Ja, E-Autos sind das große Thema. Bei den herkömmlichen Automobilen sind wir weit oben, und das sollten wir auch bleiben, wenn alle Welt auf E-Mobilität setzt. Andere Länder sind da aber im Moment viel weiter als wir. Auch das Rentensystem ist nicht mehr zeitgemäß. Viele leben in Altersarmut. Wir haben zu wenig junge Menschen, die für die vielen Rentenbezieher zahlen.

Jannis: Ich kann mich Jakob und Svenja anschließen mit ihren Vorstößen im Bereich Umweltpolitik. Bei den E-Autos hinken wir weit hinterher.

In unserem Land gibt zu wenig …

Jakob: Es gibt zu wenig bürgerschaftliches Engagement. Und ganz konkret fehlt es an Lehrern.

Svenja: … zu wenig Anstrengungen im Bereich Integration.

Emma: … zu wenig Wohnungen.

Jan-Henrik: … zu geringe Akzeptanz von Homosexuellen, von Minderheiten und von Migranten.

Jannis: Ich finde, es gibt zu wenig junge Menschen, mehr Kinder braucht das Land.

In unserem Land gibt es zu viel …

Emma: … zu viele Autos. Und zu viele Regionen, in denen gerade junge Menschen keine Möglichkeiten, keine Perspektiven haben. Es gibt auch zu große soziale Unterschiede.

Svenja: Gerade auf dem flachen Land gibt es zu viel Diskriminierung.

Jakob: … zu viele Lücken bei der Infrastruktur – wie Breitbandanschlüsse. Das muss ausgebaut werden.

Jannis: … zu viel Abschottung.

Jan-Henrik: Zu viele Rentner, die in Altersarmut leben.

Wir haben starke nationalistische Tendenzen in Europa, auch Deutschland ist betroffen. Wo sehen Sie die Ursachen und wie kann man gegensteuern?

Jakob: Eine Ursache ist, dass die Medien zu sehr das Thema Flüchtlinge aufgreifen. Viele Menschen fühlen sich vernachlässigt von der Politik und wählen aus Protest AfD.

Svenja: Ich stimme Jakob zu – eine Ursache liegt bei den Medien. Man hört und sieht ja nichts anderes. Die AfD-Leute kommen dann mit ihren Stammtischparolen. Viele Menschen sagen sich dann: Die kümmern sich – und wählen Parteien wie die AfD.

Emma: Es gibt zu große soziale Unterschiede. Viele Menschen fühlen sich abgehängt.

Jan-Henrik: Kommt vielleicht auch daher, dass manche alte Menschen noch die Ansichten aus dem Dritten Reich vertreten. Kinder und Enkel übernehmen das vielleicht …

Hätte Donald Trump in Deutschland Chancen auf ein hohes politisches Amt?

Jan-Henrik: Bin mir unschlüssig. Viele hielten es nicht für möglich, dass er zum Präsidenten gewählt würde. Und dann passierte es doch. Ich glaube aber, dass die Menschen hier aufgeklärter sind über die Folgen.

Emma: Ich glaube nicht, dass das möglich wäre. Hier wird viel für die Bürger getan. Die Regierung macht das gut. Wir brauchen keinen Trump.

Svenja: Ich denke auch, dass die Menschen hier aufgeklärter sind, andererseits sieht man ja auch, wie viele Leute AfD wählen. Das finde ich beängstigend. Generell sind die Leute schlecht auf die Politik zu sprechen. Wenn das noch zunimmt, kann es passieren, dass Leute wie Trump gewählt werden.

Jakob: Ich kann mir auch vorstellen, dass so etwas möglich ist. Im Osten hat die AfD schon jetzt viel Zustimmung.

Jannis: Wir haben ja in Deutschland eine spezielle Vergangenheit. Ich glaube, dass die Leute dann doch vorsichtig sind.

Sie sind noch sehr jung. Was ist Ihr Traum von der Zukunft?

Jannis: Ich wünsche mir, dass ich Erfahrung im Ausland sammeln kann. Dass ich gut verdiene und eine Familie gründen kann.

Jakob: Ich möchte die Welt bereisen, alles mal gesehen haben. Ich möchte auch finanziell unabhängig sein. Das ist wichtig. Wenn man von Hartz IV leben muss, bleibt einem vieles verwehrt.

Svenja: Ich möchte, dass unsere Gesellschaft enger zusammenwächst, dass die Menschen sozialer werden, auf andere Rücksicht nehmen. Ich selbst möchte gern reisen, einen guten Job haben und eine eigene Familie.

Emma: Ich möchte nach Kapstadt auswandern und Pilotin werden. Für die Welt wünsche ich mir, dass es endlich mal überall Frieden gibt.

Jan-Henrik: Ich wünsche mir, dass ich gesund bin und finanziell unabhängig. Nur dann kann ich alles andere machen, wie reisen und eine Familie gründen.

Und wovor haben Sie Angst?

Jan-Henrik: Die meiste Angst habe ich vor Krieg. Das ist zwar etwas unrealistisch im Moment, aber die Sorge wächst.

Emma: Vor einem dritten Weltkrieg. Die Lage ist nicht gut. Und ich habe Angst, dass sich der Terror weiter ausbreitet. Ich habe auch Angst um unser Land, wenn die AfD mehr Macht bekommt. Und dass die Altersarmut wächst.

Svenja: Ich habe Angst davor, dass ich meine Ziele nicht erreiche oder krank werde, überhaupt vor Schicksalsschlägen. Auch vor Terror. Und vor einem Krieg mit Atomwaffen, das wäre viel gefährlicher als alles andere.

Jakob: Auf die Welt bezogen habe ich auch Angst vor einem dritten Weltkrieg. Für mich persönlich habe ich Angst, dass ich mein Abitur nicht schaffe und keinen Job finde.

Jannis: Ich möchte auch erst mal mein Abi schaffen. Angst habe ich davor, dass meine Enkelkinder hier nicht mehr leben können.