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Gießener Allgemeine Zeitung vom 23.07.2016

Esther Kalabis leistet Freiwilligendienst in Ecuador –Arbeit mit straffälligen Jugendlichen

Grünberg (tb). Erst ein paar Tage ist es her, dass 110 junge Menschen an der Theo-Koch-Schule Grünberg ihr Abiturzeugnis freudig entgegennahmen. Wie heute üblich, in feierlich-pompösem Rahmen, mit Abendgarderobe, Buffet, allem Pipapo. Wie andernorts auch: Etwa jeder Fünfte der Abiturienten macht jetzt erst mal Pause, will was von der Welt sehen, bevor er sich dem »Ernst des Lebens« stellt. Mit weitem Abstand beliebteste Destination der adoleszenten »Weltentdecker«: Australien. Erst mal was von der Welt sehen, neue Erfahrungen sammeln, Fremdsprachenkenntnisse verbessern, das will auch Esther Kalabis. Doch nicht nur, und schon gar nicht mit allem Pipapo: »Für mich stand schon lange fest, dass ich mich zugleich sozial engagieren werde, die Sprache nur ein Bonus ist«, unterstreicht die 19-Jährige im Gespräch mit der Allgemeinen Zeitung. Und auch, »dass es etwas mit Menschen sein muss«. Menschen jenseits unserer Welt des Überflusses. Die gebürtige Darmstädterin steht damit nicht allein: Fünf bis zehn weitere TKS Schüler haben – wie der Run auf Australien eine Info aus dem Abi Jahrbuch – ein freiwilliges soziales Jahr (FJS) im Ausland auf der Agenda, in Ghana, China oder Argentinien. Übrigens alles junge Frauen. »Die Jungs reisen lieber«, sagt Esther Kalabis. Rund 50 Angebote für Interessenten an einem Freiwilligendienst in ganz Lateinamerika hatte sie sich angeschaut, ihre Wahl fiel am Ende auf ein Projekt in Ecuador, das sich vor allem um die Resozialisierung straffälliger Jugendlicher und deren Familien kümmert. Am 1. September ist ihr erster Arbeitstag in dem Land an der Pazifikküste, genauer in der 300000-Einwohner-Stadt Cuenca, südlich der Hauptstadt Quito. Zwölf Monate lang wird sie in einer Anlage der Organisation »Somos Familia/Miotra Casa« (»Wir sind Familie/Mein anderes Haus«) wohnen und arbeiten. Für die Seriosität spricht die Kooperation der Ecuadorianer, die im Übrigen vom Staat keinen Peso bekommen, mit dem Internationalen Bund als anerkanntem freien Träger von Sozialarbeit in Deutschland. Nach einem ersten Vorbereitungsseminar, bei dem es unter anderem um das richtige Verhalten in Konfliktsituationen ging, weiß Kalabis nun auch, was auf sie zukommt: Auf dem Arbeitsplan stehen zunächst die »üblichen Betreuertätigkeiten«, etwa Unterstützung bei Hausaufgaben oder Alltagsbegleitung. Oder die Organisation von Aktivitäten mit Angehörigen der Jugendlichen, bindet doch das Konzept der Organisation die Familien von Straftätern mit ein. Ebenso Hilfen für weibliche Gefangene zählen zu ihren Aufgaben. Nicht zu vergessen das Unterrichten: Esther Kalabis wechselt sozusagen die Seiten, bringt den Jugendlichen Englisch und Mathematik bei. Zupass kommen ihr dabei nicht nur, dass sie diese Fächer als Leistungskurse hatte, sondern auch die drei Jahre Spanisch. Und: Als nur eine Facette ihres steten sozialen Engagements – mit 14 Jahren als Betreuerin in Jugendcamps aufgenommen – hat sie bereits als Praktikantin in den Intensivklassen »Deutsch für Ausländer« der TKS mitgearbeitet. Erste pädagogische Erfahrungen hat sie also schon sammeln können, kann diese nun einbringen. Zu 75 Prozent werden die Kosten dieses Freiwilligendienstes vom Staat übernommen, ebenso ein kleines Taschengeld. Den Rest, rund 2800 Euro, muss sie allein tragen. Sponsoren sind willkommen (Kontakt esther.kalabis@gmail.com). Am Ende macht sie noch auf eine weitere Motivation aufmerksam, in ein Land der Dritten Welt zu gehen: »Unser Bild von Ländern Mittel- oder Südamerikas ist geprägt von Vorurteilen, allein was die Kriminalität angeht.« Da habe es sie gereizt, sich einen eigenen, unverfälschten Eindruck zu verschaffen. In Vordergrund aber stehe doch das bereits erwähnte soziale Engagement: »Wenn es auch nur eine Person ist, der ich helfen konnte, war es die Sache wert.«