Gießener Anzeiger vom 14.09.2021, S. 33

Das Strahlen ist echt: 21 junge Frauen und drei junge Männer bekamen den Ovag-Literaturpreis für ihre Kurzgeschichten. Die Hauptsiegerin
Emmilie Specht aus Nidda ist die Dritte von rechts unten. Foto: Nissen

Emmilie Specht aus Geiß-Nidda gewinnt den Jugend-Literaturpreis der Ovag / Hohe literarische Qualität der Beiträge

Von Klaus Nissen

WETTERAUKREIS. Jungs scheinen es offenbar nicht so mit dem Schreiben zu haben. Könnte man zumindest meinen. Nur drei schafften es auf die 24 Namen lange Gewinnerliste des diesjährigen Ovag-Jugend-Literaturpreises: Fabian Minor aus Niddatal, Ali Shaker aus Gießen und Christopher Weber aus Alsfeld konnten die siebenköpfige Jury mit ihren Kurzgeschichten überzeugen. Viel mehr junge Frauen zwischen zwölf und 21 Jahren wurden am Freitagabend im Konzertsaal des Bad Nauheimer Kurhauses im DolceHotel ausgezeichnet. Und die beste Geschichte schrieb eine 18-Jährige aus GeißNidda. Emmilie Specht stieg strahlend und selbstbewusst aufs Podium. Da bekam sie den mit 1000 Euro dotierten Siegerpreis für ihren Text „Die Sache mit der Wahrheit“. Mehrfach zitierten die Lobredner einen Schlüsselsatz aus der Familiengeschichte: „Die Menschen brauchen keinen Zucker. Sie brauchen die Wahrheit.“ Sie habe die Geschichte spontan aus einem Einfall heraus geschrieben, sagte die Gymnasiastin später zwischen festlicher Preisverleihung und Buffet. Der Preis sporne sie an, mehr zu schreiben. „Aber erst mal will ich in Nidda das Abitur machen und dann studieren.“

Den zweiten Preis in Gestalt zweier metallener Schreibfedern und 700 Euro überreichten die Ovag-Vorsitzenden Joachim Arnold und Oswin Veith der 19-jährigen Sarah Emamzahi. Das ist besonders, denn die junge Frau aus Afghanistan lernte erst vor fünf Jahren die deutsche Sprache. Sie kam 2015 mit ihrer Familie als Flüchtling in den Kreis Gießen. Und nun macht sie in Lich eine Krankenpflege-Ausbildung und ist die erste Berufsschülerin mit einem Literaturpreis. Was sie schreibt, zeugt von Tiefe und Lebenserfahrung. Die Geschichte erzählt vom Verlassen einer Heimat, die unerträglich geworden ist, von den Strapazen der Flucht. Und von dem Gefühl, das man hat, wenn man kurz vor dem Ziel vor einem Beamten steht, von dessen Urteil die ganze künftige Existenz abhängt. „Wie viele Tode kann ein Mensch überleben?“, heißt der Text, der wie alle Beiträge der jungen Leute im kommenden Jahr von der Ovag als Buch herausgegeben werden. Die Lektüre dürfte sich lohnen.

Er sei überrascht von der hohen literarischen Qualität der Beiträge, sagte der Laudator Martin Maria Schwarz. Der Kultur-Redakteur des Radiosenders HR2 kann das wohl beurteilen. Da gebe es die Geschichte des Obdachlosen in Paris, der sein Essen mit den Tauben teilt. Die „Lady in Red“ in der Straßenbahn und die junge Frau, die als Festrednerin bei der Hochzeit der Schwester zum Entsetzen der Eltern von der Distanz erzählt, die zwischen den Geschwistern herrscht – und ausgerechnet damit die Freundschaft der Braut gewinnt. Denn es brauche halt Wahrheit, keine Verzuckerung in den Beziehungen der Menschen. Solche Beiträge sind für den Laudator weit weg von den Liebesleid-Klischees, die man bei Teenagern vermutet. In einer „mich berührenden Reflexionstiefe“ habe er in den Geschichten eine „schonungslose Auseinandersetzung mit einer Welt“ gelesen, „die als falsch identifiziert wird“. Und das werde in spannenden Sätzen so geschildert, dass der Leser gleich „mittendrin“ sei. „Das ist das Größte, das ein Autor erreichen kann“, sagte der Feuilletonist am Mikrofon. „Bildet Euch ruhig etwas darauf ein!“

Und weil das weitergehen soll, bekommen die 24 jungen Preisträgerinnen und Preisträger im November ein viertägiges Schreibseminar mit dem erfahrenen
Schriftsteller Feridun Zaimoglu und seiner Kollegin Ursula Flacke. Nach der Buchveröffentlichung im Februar wird es 2022 viele Lesungen in den Schulen der drei Ovag-Landkreise geben, kündigte Vorstand Oswin Veith. an. Er sei erleichtert und froh, dass sich an diesem 18. Literaturwettbewerb des Versorgungsunternehmens nicht weniger als 180 junge Menschen beteiligt haben. Immerhin habe es coronabedingt monatelang keine Schule und somit auch keine Lesungen gegeben, die zur Teilnahme anregen sollen.

Beim Gruppenfoto auf der Bühne strahlten die jungen Frauen und Männer mit den Sonnenblumen in ihren Händen um die Wette. Stolze Eltern und Klassenlehrer drängten sich davor, um den denkwürdigen Moment mit der Kamera und dem Smartphone einzufangen. Beim Festakt saß man mit viel Abstand an großen runden Tischen. Danach holten sich alle – wegen Corona mit Gummi-Handschuhen – kleine Leckereien. Die Deutsch-Koreanerin Nashi Young Cho und ihre Band machten dazu Musik. Sie trug ein Asia-Kleid mit Bembelmuster und sang auch ein Lied, das sie für die nächste Bühnenshow des Comedians Martin „Maddin“ Schneider komponiert hat. Thema: „Das „dabbische Bobbelsche mit dem babbische Bobbes.“

Und hier die Namen der weiteren Preisträger: Svantje Rack aus Biebertal erhielt mit einer Bahnhofsgeschichte den dritten Preis. Aus Friedberg gewannen Pia Bonn, Valentina Dietrich, Helen Mehr, aus Bad Nauheim Julia Schnabel und Isabel Weinert, aus Gießen Leni Herzfeld und Lilli Weiskopf. Aus Schotten- Burkhards Nina Ahlig. Aus Ober-Mörlen Masa Alnomani und Mia Morys, aus Pohlheim Carolin Görlach und Mia Schlachter, aus Niddatal Paula Kopp, aus Grünberg Mara Lippert, aus Rodheim Marie Middendorf, aus Hüttenberg Svea Schäfer, aus Langgöns Celina Scheibel und aus Rabenau Norina Tondar. Den mit 400 Euro dotierten Karlhans-Frank-Gedächtnispreis bekam die ehemalige neunte Klasse des Gymnasiuns Nidda mit ihrem Lehrer Markus Hofmann für das Unterrichtsprojekt „Von der Idee zum Hörspiel“.

Zwei mit je 250 Euro honorierte Sonderpreise bekamen das Burggymnasium Friedberg und das Landgraf-Ludwig-Gymnasium Gießen für literarische Projekte.