Gießener Allgemeine Zeitung vom 08.04.2022

Grünberg (dis). In zwei Lesungen, die eine an der Theo-Koch-Schule und die zweite im Barfüßerkloster, beschäftigte sich die Historikerin Prof. Annette Kehnel von der Universität Mannheim mit einer kurzen Geschichte über die Nachhaltigkeit unter dem Thema »Wir konnten auch anders«.

Bereits 1713 führte Hans Carl von Carlowitz den Begriff der »Nachhaltigkeit« in die Forstwirtschaft ein, doch schon lange vorher war eine nachhaltige Bewirtschaftung für die natürlichen Ressourcen in Theorie und Praxis bekannt. Im Zuge der Industrialisierung wurde die über Jahrhunderte funktionierende Bewirtschaftung in den Kulturen dem Fortschritt geopfert. Dies ging einher mit einem Schwund der Artenvielfalt und die von Menschen verursachten Katastrophen nahmen zu.

Kehnel geht von der Annahme aus, dass spätere Generationen die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg als »Jahrhundert der Vermüllung des Planeten« in Erinnerung behalten werden. In den 444 Anmerkungen des Buches »Wir konnten auch anders« wird deutlich, mit welcher Akribie die Autorin auf die vormoderne Geschichte der Nachhaltigkeit eingegangen ist.

In fünf Kapiteln stellt die Autorin eine große Anzahl von Beispielen nachhaltigen Wirtschaftens im Mittelalter vor. So schafften es unter anderem Männer- und Frauenklöster, durch eine Teilung der Habe, eine nachhaltige Bewirtschaftung ihrer Güter in möglichst fairer Zusammenarbeit zu organisieren.

Im Mittelalter kam Abfall einem Verrat gleich, dabei spielten unbrauchbare Waren und Verpackungen so gut wie keine Rolle.

Eine große Anzahl von Reparaturberufen wie zum Beispiel Kesselflicker, Flickschuster oder Altplecker hielten Geräte im Falle von Beschädigungen oder Abnutzungserscheinungen instand, andere sorgten für die Wiederverwendung gebrauchten Materials.

Im 15. Jahrhundert gab es zum Beispiel bei den Lumpensammlern eine erbitterte Konkurrenz, die hinsichtlich der wachsenden Papierindustrie für die Beschaffung des Ausgangsmaterial sorgten.

Besonders eindrucksvoll und mit viel Sachverstand schilderte Kehnel, wie die »Monti di Pieta« in den italienischen Städten des 15. und 16. Jahrhunderts durch Pfandleihsysteme den Armen Mikrokredite verschafften, mit denen unter anderem Bauern Saatgut und Schuster das benötigte Leder vorfinanzieren konnten.