Gießener Allgemeine Zeitung vom 27.12.2021

Mit ihrem Klassenzimmerstück »Die Besserung« gastierten Stefan Dehler (l.) und Christoph Huber an der Theo-Koch-Schule.© pv

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Grünberg (pm). Empathie für die Opfer rechtsextremer Gewalt entwickeln, die grausamen Folgen faschistischer Ideologie verstehen, rechten Parolen mit Argumenten begegnen – dazu will die Theo-Koch-Schule in Grünberg junge Menschen befähigen. Das steht nicht nur als wichtiges Ziel auf dem Lehrplan, sondern ist Aufgabe einer »Schule ohne Rassismus«. Aber wie kann diese ohnehin schon schwierige Aufgabe gelingen, wenn Zeitzeugen, die von Ausgrenzung und Verfolgung berichten können, immer weniger werden?

Der gesellschaftswissenschaftliche Fachbereich unter der Leitung von Peter Molzberger beschäftigt sich schon lange mit dieser Frage.

Kooperation mit Theaterformation

Eine Antwort darauf ist die langjährige Kooperation mit der freien Theaterformation »Stille Hunde« aus Göttingen, bestehend aus Stefan Dehler und Christoph Huber. Sie waren bis 2008 Ensemblemitglieder am Deutschen Theater Göttingen und sind versiert in vielen Genres von Kabarett bis Kindertheater.

Bereits zum zehnten Mal gastierte das Duo mit seinem Stück »Die Besserung« an der Theo-Koch-Schule. Gut 130 Jugendliche sahen das zeitgeschichtliche Stück, das Stefan Dehler aus Berichten von Überlebenden des ehemaligen Jugend-Konzentrationslagers Moringen entwickelt hat. Es bildete den eindrucksvollen Auftakt zur Unterrichtseinheit zum Nationalsozialismus.

»Die Besserung« erzählt in Rückblenden die Geschichte des vierzehnjährigen Franz, der wegen unangepassten Verhaltens von den NS-Autoritäten zum »Pubertätsversager« gestempelt wird. Der Teenager kommt ins Heim, haut ab und wird wegen Fahrraddiebstahls im Jugend-KZ interniert. Dort muss er schwerste Zwangsarbeit verrichten. Erniedrigt durch die demütigenden Befragungen von Heimleiter und KZ-Arzt, von SS-Aufsehern misshandelt und wegen quälenden Hungers zum Dieb an seinen Mithäftlingen geworden, muss Franz erfahren, dass er als »Asozialer« keinen Platz in der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« hat. Dieses Stigma trägt er nach der Befreiung des Lagers mit sich herum, es verurteilt ihn zum Schweigen. Erst kurz vor seinem Tod schafft er es, dem Sohn seine Geschichte zu erzählen.

Wie dieser den Sohn eines Mithäftlings aufsucht und wie die beiden Männer gemeinsam dem verstörenden Schicksal ihrer Väter auf die Spur kommen, bildet die Rahmenhandlung des Theaterstücks.

Erlebnisse so real wie die Scham

Im Nachgespräch mit dem jungen Publikum stellten Stefan Dehler und Christoph Huber klar, dass »Franz« eine fiktive Figur ist. Seine Erlebnisse im Lager jedoch – das lehrten die Zeitzeugenberichte – seien ebenso real wie die Scham und das Schweigen der Überlebenden. Umso wichtiger sei es, die Zeugnisse derjenigen zu studieren, die das Schweigen gebrochen haben, und die menschenverachtende Ideologie zu verstehen, die so viel Leid verursacht hat.

Die Lehrerinnen und Lehrer der Fächer Kunst und Gesellschaftslehre an der TKS, die in den nächsten Wochen den Projektunterricht zum Nationalsozialismus leiten werden, nehmen diese Herausforderung an. Dabei werden die Eindrücke aus dem Theaterstück »Die Besserung« sicher lange nachwirken. FOTO: PM