Gießener Allgemeine Zeitung vom 10.05.19

von Christina Jung

Eine Schule in NRW hat Jogginghosen, Kappen und bauchfreie Tops verboten. Wie sieht die Situation im Kreis Gießen aus, gibt es eine rechtliche Handhabe dafür?

Schlabberige Hosen, Jeans mit Löchern, bauchfreie Tops – wie sich Jugend kleidet, stößt Erwachsenen oft auf. Besonders an Schulen. Die führen vermehrt Kleidervorschriften ein, weil Kinder – nach Ansicht der Lehrer – unangemessen angezogen im Unterricht erscheinen.

Jüngstes Beispiel ist eine Realschule in Bad Oeynhausen (NRW), wo die Schulkonferenz den Freizeit-Look verboten hat. Verstöße werden geahndet. Wie sieht es an den hiesigen Schulen aus?

Unangemessene Kleidung relativ selten

„Bei uns ist das momentan kein Thema“, sagt Alexandra Kuret, Leiterin der Gesamtschule Hungen. Lediglich Einzelne zögen sich in dieser Art an, aber „da ist nichts, was uns stört“, sagt Kuret und fügt hinzu: „Wir haben nicht den Eindruck, dass unsere Schüler hier sitzen und nicht mehr zwischen Schule und Freizeit unterscheiden können.“

„Bei uns ist unangemessene Kleidung relativ selten“, berichtet Peter Blasini, Direktor der Dietrich-Bonhoeffer-Schule in Lich. Nur im Sommer träten „manche Damen etwas zu freizügig“ auf. „Die werden dann von uns darauf hingewiesen, dass dies schulisch nicht angemessen ist“, so Blasini.

Ebenso verfährt sein Kollege Gabriel Verhoff, der die Gesamtschule Gleiberger Land leitet. „Wenn die Mädchen so kurze Shirts tragen, schauen alle Jungs nach ihnen, und es ist kein Unterricht möglich“, berichtet Verhoff. Dann wird seitens der Lehrer reagiert.

Bei volksverhetzenden Parolen auf Shirt: „Sofort auf links drehen“

Ein anderes Thema seien Oberteile mit Drogen verherrlichenden oder extremen politischen Botschaften. „Wer so etwas trägt, wird aufgefordert, das T-Shirt verkehrt herum anzuziehen“, so Verhoff.

Keinen Spaß kennt in solchen Fällen auch Ralf Achenbach, Leiter der Gesamtschule Allendorf/Lumda. „Sofort auf links drehen“, lautet bei T-Shirts mit volksverhetzenden Inhalten und/oder Nazi-Parolen sowie Zahlencodes die Ansage. Aufgetaucht seien die bisher aber nur sehr vereinzelt.

Was die angesagten Fetzen-Jeans angeht, nimmt Achenbach den Trend mit Humor: Sieht er einen Schüler mit allzu großen Löchern in der Hose, bekommt der schon mal zu hören: „Komm, ich geb Dir eine Sicherheitsnadel!“

Einheitliche Schulkleidung böte „viele Vorteile“

Nach Ansicht von Jörg Keller, Direktor der Theo-Koch-Schule Grünberg, lässt sich in Sachen „Schlabberlook in der Schule“ wohl kaum eine einheitliche Meinung herstellen. Auch an seiner Schule ist das Thema derzeit (noch) von untergeordneter Bedeutung.

In nur wenigen Fällen wurden in Grünberg Kinder schon mal auf ihr Erscheinungsbild angesprochen oder gar Eltern einbestellt. Mit aus diesem Grund hat die TKS 2017 ihre Schulordnung ergänzt.

Keller grundsätzlich: „Die Beachtung von Äußerlichkeiten ist aber in jedem Fall Teil unseres Erziehungsauftrags. Eine einheitliche Schulkleidung böte zweifellos viele, nicht zu unterschätzende Vorzüge, ist aber rechtmäßig nicht umsetzbar.“

Jogginghose gehört zunehmend zur Alltagskleidung

Wie der TKS-Direktor beobachtet, gehöre bei einzelnen Jugendlichen, vor allem männlichen, die Jogginghose zunehmend zur Alltagskleidung. Schülern wie auch Schülerinnen sei der Umgang mit „situationsangemessener Kleidung“ immer öfter fremd – selbst in Präsentations- und Abschlussprüfungen.

Hier wünscht sich die Schulleitung, auch von Eltern, ein höheres Maß an Sensibilität. Selbstverständlich gehöre hierzu auch, die Rolle der Lehrkraft in seiner Vorbildfunktion anzusprechen

Keine rechtliche Handhabe

Erheblichen Handlungsbedarf in Sachen Schlabberlook sieht man an den Kreis-Schulen also offenbar nicht. Ganz abgesehen davon existiert auch keine Rechtsgrundlage für eine Kleiderordnung. „Es gibt weder seitens des Landes, noch seitens der Schulen verbindlichen Vorgaben dazu“, sagt Philipp Bender, stellvertretender Pressesprecher beim hessischen Kultusministerium auf Anfrage dieser Zeitung.

Gemäß dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie ständiger Rechtsprechung sei die Verantwortung für die Kleidung und gesamte Erscheinungsbild eine originär persönliche Angelegenheit. Was laut Bender da eine Grenze habe, „wo die Rechte anderer, das Sittengesetz oder die verfassungsmäßige Ordnung verletzt werden“.

Kurzum: Will eine staatliche Schule in Hessen – für private gilt das nicht – eine Kleiderordnung einführen, kann es sich dabei nur um eine Empfehlung handeln, so Bender. Anders sieht das in Nordrhein-Westfalen aus, wo es nach dem Schulgesetz erlaubt ist, Regelungen zur Bekleidung zu erlassen. Voraussetzung dafür ist ein Beschluss der Schulkonferenz – den hat es in Bad Oeynhausen gegeben.

Das sagen Schüler

Was Modezar Karl Lagerfeld vom Schlabberlook taillenabwärts hielt, ist bekannt: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Was aber halten Jugendliche hierzulande von einem „Dresscode“ für die Schule?

„Im Prinzip hätte ich nichts dagegen einzuwenden“, schickt Anton Rautenberg, stellvertretender SV-Sprecher der TKS Grünberg, voraus. „Schule ist nun mal nicht Freizeit, in der man sich auf dem Sofa entspannt, und sie sollte ja auch auf das Berufsleben vorbereiten.“ Allerdings sieht er an seiner Schule keinen Bedarf für eine Kleiderordnung. Einzig in der Mittelstufe gebe es hier und da Kinder, die mit Jogginghosen den Unterricht besuchen. In der Oberstufe dagegen kaum – „allenfalls mal der eine oder andere Sportler.“

„Wir finden, dass eine solche Kleiderverordnung die Individualität und die vielen unterschiedlichen Styles der Schüler einschränkt“, sagen die Schülervertreter der Gesamtschule Gleiberger Land, Erik Kraft und Kilian Hermanns (Klasse 10). „Diese Individualität trägt auch ein Stück weit zur freien Entfaltung des Einzelnen bei, denn die Kleidung spiegelt auch immer den Charakter wider. Jogginghosen sind bei vielen beliebt, weil sie bequem, stylisch und angesagt sind. Wir denken, dass jeder frei entscheiden sollte, welche Klamotten er gerne tragen will. Das macht die Schule zumindest etwas liberaler und bunter.“