Gießener Allgemeine Zeitung vom 13.02.2025

»Realität erfahren. Echt hart« ist das Motto beim Präventionstag an der Grünberger Theo-Koch-Schule. Dort hören Schüler von Polizisten und anderen Helfern viel über die Folgen von Verkehrsunfällen. Zudem können sich die jungen Leute am Fahrsimulator testen. © Lars Benedict Hoppe
Grünberg (lbh). Die Zahlen 110 und 112 sollte jeder kennen und wissen, wofür sie stehen. Ganz klar: Es sind die Notrufnummern, mit denen man in Deutschland die Leitstellen der Polizei oder der Feuerwehr erreicht, wenn man Hilfe benötigt. Die Zahl 113 soll zwar bald auch die Notrufnummer für psychische Krisensituationen werden, hat aber auch noch eine andere Bedeutung.
113 Menschen sind durchschnittlich eingebunden, wenn ein schwerer Verkehrsunfall gemeldet wird. Von der Leitstelle über die ausrückenden Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst sowie die Notfallseelsorge bis zum Krankenhauspersonal. Und für sie alle kommt es bei schweren Unfällen auf jede Sekunde an, um Menschenleben zu retten.
Um für mehr Sicherheit im Straßenverkehr zu sorgen, besuchten Mitarbeitende von Polizei, Rettungsdienst, Feuerwehr, Notfallseelsorge und ein Mitarbeiter eines örtlichen Bestattungsinstitutes am Freitagmorgen die Theo-Koch-Schule in Grünberg. Im Programm »Crashkurs« für Sicherheit und Zivilcourage sollten sich Schüler der elften Klassen mit Unfallursachen und Unfallfolgen auseinandersetzen.
Mithilfe von Klebezetteln, die die Schüler vorher mit ihren persönlichen Träumen und Zielen beschriftet hatten, zeigte Polizeioberkommissarin Pia Eise von der Autobahnpolizei, wie all die Träume durch einen schweren Unfall zerplatzen können. Die Zettel wurden an einen Ballon geklebt, der in der Aula der Schule Richtung Decke schwebte, bevor Eise ihn zerplatzen ließ.
Weniger symbolisch, dafür aber umso eindrücklicher waren Schilderungen von Unfallopfern in Form einiger kurzer Filme, die den Schülern gezeigt wurden, sowie die Berichte von Einsatzkräften. Jan Erb, Stadtbrandinspektor von Grünberg, brachte ein Foto eines Verkehrsunfalls mit und berichtete, welchen Herausforderungen die Feuerwehrleute bei einem solchen Einsatz ausgesetzt sein können.
In dem geschilderten Vorfall begann der Fahrer eines Autos wild um sich zu schlagen, weil ihm durch eine Verletzung am Kopf Blut aufs Gehirn drückte. Er verletzte auch Einsatzkräfte, die ihm helfen wollten. Schließlich sah die Polizei sich gezwungen, dem Unfallopfer Handschellen anzulegen, damit man die Person ärztlich versorgen konnte.
Als Nächstes berichtete Polizist Jakob Polom von einem Unfall, bei dem ein Anfang 20-Jähriger mit seinem Auto von der Straße abkam und der Wagen Feuer fing. Unglücklicherweise konnten die Rettungskräfte dem jungen Mann nicht rechtzeitig helfen, sodass er in seinem Fahrzeug verbrannte. Polom erinnerte sich, dass ältere Feuerwehrleute bei diesem Einsatz ihre jüngeren Kollegen nach Hause schickten, um sie nicht mit der Grausamkeit der Situation zu konfrontieren.
Zum Einstieg in den Aktionstag berichteten stellvertretend für alle Beteiligten der Rettungskette unterschiedliche Menschen von Erlebnissen, die ihnen nicht mehr aus dem Kopf gehen.
Frank Niemann, Notfallsanitäter beim Deutschen Roten Kreuz, sagte: »Wir alle haben einen Schrank mit vielen Schubladen in unserem Kopf. Und in jeder Schublade ist ein Einsatz, den wir nicht vergessen können.« Es sei ganz normal, dass eine solche Schublade sich einmal öffnet und man an einen dieser Unfälle zurückdenkt.
Wichtig sei aber, dass man solche Schubladen wieder schließen könne. »Ich öffne jetzt für euch eine solche Schublade«, begann Niemann seinen Bericht über einen schweren Frontalzusammenstoß zweier Autos, bei dem er eines der Unfallopfer betreute. »Ich hab noch zu ihr gesagt ›alles wird gut«, erinnerte sich Niemann. »Das sage ich nie wieder einem Patienten.« Die Frau starb auf dem Weg ins Krankenhaus.
Nach den Vorträgen konnten sich die Schüler noch einmal genauer mit einigen Aspekten von Unfällen und Rettungsarbeiten vertraut machen. Der Auto Club Europa hatte einen Fahrsimulator aufgestellt, bei dem in unterschiedlichen Situationen die Reaktionsgeschwindigkeit überprüft wird. Sandra Irlmeier vom Bestattungsunternehmen Hofmann zeigte den Schülern einen sogenannten Notfallsarg und sprach gemeinsam mit Marius Hürtgen von der Notfallseelsorge Wetterau mit den Schülern über das Thema Tod.
Bei der Feuerwehr Grünberg konnten die Schüler Werkzeuge aus dem Bereich der technischen Hilfeleistung kennenlernen, indem sie zum Beispiel mithilfe von Hydraulikkissen Tischtennisbälle durch ein Labyrinth führen mussten oder mit einem hydraulischen Spreizer »Jenga« spielen konnten. Und auf einem Bobbycar- Parcours konnte man mithilfe einer Rauschbrille die Auswirkungen von Alkohol beim Autofahren nachempfinden.
Innenstaatssekretär Martin Rößler und Polizeipräsident Torsten Krückemeier waren am Freitag bei der Veranstaltung in Grünberg ebenfalls anwesend.