Gießener Allgemeine Zeitung vom 17.11.2023
Grünberg (pm). Am Morgen des 7. Oktober erwachte Katharina Hillmann, 2013er Abiturientin der Theo-Koch-Schule und derzeit Doktorandin der Philosophie an einer Universität in Israel, vom Heulen der Sirenen. Zu diesem Zeitpunkt ahnte sie noch nicht, dass dieser Tag in die Geschichte des Landes eingehen würde.
Hillmann tat das, was sie bei so vielen Alarmen zuvor schon getan hatte: Es blieben ihr 30 bis 90 Sekunden, um sich in den »Saferoom« des Apartments zu flüchten, Türen und Fenster zu schließen und darauf zu warten, dass der Alarm aufgehoben wird – weil entweder die Raketen irgendwo eingeschlagen sind oder weil sie vom Raketenabwehrsystem »Iron Dome« abgeschossen wurden.
»Seit zwei Jahren lebe ich in Israel«, erzählte die 29-Jährige. »Schon zweimal habe ich in dieser Zeit Raketenalarm erlebt. Das kennt man dort.« Als aber die ersten besorgten Anrufe kamen, wurde ihr klar, dass diesmal nichts normal ist. Ihre Eindrücke schilderte sie bei einer Gesprächsrunde in der Schulbibliothek der Theo-Koch-Schule in Grünberg vor Schülern und Lehrern. Die Teilnahme war freiwillig, die Stimmung entsprechend entspannt und interessiert.
Co-Referent neben Katharina Hillmann war der 34-jährige Andreas Artz von der Jüdischen Gemeinde Gießen. Die ersten Reaktionen nach dem Terrorüberfall, so Hillmann und Artz übereinstimmend, seien nicht Wut oder Hass gewesen, sondern – nach der ersten Schockstarre – Trauer, Verzweiflung und ein Gefühl der Ohnmacht.
Artz sagt: »Wir fragten uns: Wie geht es unseren Familien und Freunden? Was passiert mit den Geiseln?« Bei Hillmann kam Wut auf, als sie die ersten Kommentare nach dem Terrorüberfall im Internet las, welche die Ermordung von Zivilisten als legitime Reaktion im Konflikt zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas sahen.
Artz sagt: »Inzwischen bin ich auch wütend. Nicht auf die palästinensische Zivilbevölkerung, sondern auf die Terrormiliz Hamas, die diese als menschliche Schutzschilde missbraucht und keine Hilfsgüter durchlässt.« In der offenen und ungezwungenen Atmosphäre der Gesprächsrunde – die Teilnahme war freiwillig – konnten auch schwierige Fragen diskutiert werden. Etwa, ob sich TKS-Schüler in dem Konflikt positionieren müssen. Oder wie sich ein möglichst differenziertes Bild über den Nahostkonflikt im bereits überfrachtenen Lehrplan darstellen lässt. Eine schwere Frage war auch, wie sich Kritik am israelischen Regierungshandeln von israelbezogenen Antisemitismus unterscheiden lässt.
Dass sich der Großteil der Deutschen gegen Antisemitismus im eigenen Land stellt, griff Artz, der zum ersten Mal an der Theo-Koch-Schule zu Gast war, bereits in seinen einleitenden Worten auf: »Es berührt mich, dass ihr heute hier seid und damit ein Zeichen der Solidarität mit jüdischen Menschen setzt.«
Am Ende rief Hillman dazu auf, sich bewusst und gründlich mit den aktuellen Ereignissen auseinanderzusetzen: »Nie gab es so viele Bilder wie in diesem Krieg.« Dennoch sollte man sich Zeit zum Nachdenken und nehmen und tiefergehend analysieren, um sich eine Meinung zu bilden.