Gießener Anzeiger vom 17.09.2022, S. 34

Harvard-Präsident Lawrence Bacow besucht TKS – Schule seines Großvaters

»Es ist in jedem Fall besonders«, freute sich der Schulleiter der Theo-Koch-Schule (TKS) Jörg Keller, als er vor der ehemaligen (Ober-)Realschule der heutigen Schule am Diebsturm Lawrence Seldon Bacow, den Präsidenten der Havard-Universität in Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts im Beisein von Grünbergs Bürgermeister Marcel Schlosser und Teilnehmern einer Delegation, die auf den Spuren ihrer Vorfahren nach Londorf und Lollar am Mittwoch (der Anzeiger berichtete) am Donnerstag die Gallusstadt besuchten, begrüßte.

Blick in die Räumlichkeiten

Moritz Schönfeld aus Londorf und Leopold Wertheim aus Rüddingshausen, beide Jahrgang 1887 waren hier gemeinsam 1902 zur Schule gegangen. Vor dem heutigen Haus C der Schule am Diebsturm, der einstigen Höheren Bürgerschule, war es Lehrerin Christina Müller von der TKS, die Bacow darüber informierte, dass hier beide gemeinsam eine Klasse besuchten und diese sich in diesem Gebäude befand.

Leopold Wertheim war der Großvater des heutigen Harvard-Präsidenten. Stellvertretend für Moritz Schönfeld war dessen Urenkel Zachary Schonfeld nach Grünberg gekommen. Nach dem Besuch der Schule fand im Museum im Spital eine Begegnung und Präsentation von Schülern der TKS statt. Keller bekräftigte, dass sich die TKS diesem Erinnern auch zukünftig verpflichtet fühle und wies darauf hin, dass sich die Schule bereits 1996 als erste in Hessen dem Netzwerk »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage« angeschlossen habe.

Ein halbes Jahr lang hatten sich fünf Schüler der elften und ein Schüler der neunten Jahrgangsstufe in der »AG Jüdische Ehemalige« unter der Leitung von Christina Müller auf Spurensuche begeben und dabei herausgefunden, dass Bacow ein Nachkomme von Leopold Wertheim ist.

Die Ergebnisse ihrer Arbeit hatten sie Bacow bereits zum Holocaustgedenktag am 27. Januar in einer Videobotschaft vorgestellt.

Der 29. Präsident der Harvard University ist Jurist, Wirtschaftswissenschaftler und Umweltexperte und war gemeinsam mit Ehefrau Adele, der Präsidentin einer Stadtplanungsfirma, zur Schule am Diebsturm gekommen. Beim anschließenden Gang zum Museum im Spital war es Adele Bacow, die in der Neustadt sprichwörtlich vom »Colonialwarengeschäft Salz-Niederlage Karl Schmierer« angezogen wurde und mit ihrem Mann einen Blick durch die Scheiben in einen traditionellen »Tante Emma«-Laden warf.

Karin Bautz vom Museum und Christine Harthun begrüßten am Museum die zehnköpfige Gruppe um Bacow und Schonfeld gemeinsam mit Lawrence de Donges-Amiss-Amiss von der Jüdischen Gemeinde Gießen, den Organisatoren der Gedenkwoche in Londorf sowie Vertretern des Geschichtsvereins Rabenau. Bürgermeister Schlosser sprach angesichts der 800-Jahr-Feier Grünbergs, der Stadt mit Herz, von einem ganz besonderen Jahr. »Und dazu gehört auch die Geschichte. Die Erinnerung an den Holocaust muss präsent bleiben. Darum weitermachen und nicht von Schicksalsschlägen unterkriegen lassen. So wie es sich in den Lebensläufen von Leopold Wertheim und Dr. Siegfried Buxbaum widerspiegelt«, dankte das Stadtoberhaupt den Schülern für die Aufarbeitung und die neuen Erkenntnisse.

Vorbereitet hatten Heike Menz und Jens Jensen die Zusammenkunft im Museum. Seitens der »AG Jüdische Ehemalige« stellten Luke Schaaf, Lara Scharmann, Lucie Dörr, Mini Yasar, Sarah Schmidt und Teresa Gruber in drei von Nadja Nachtigall und Nico Gehle musikalisch umrahmten Präsentationen ihre Ergebnisse über »Jüdische Schüler und Schülerinnen an der weiterführenden Schule in Grünberg (1884-1934)« vor.

Mehr als 40 junge Menschen aus jüdischen Elternhäusern rund um Grünberg besuchten von 1884 bis 1934 die weiterführende Schule in Grünberg, und auf die dazu erforschten Biografien gingen die Schüler nun ein.

Bereits in der Eingangsvitrine zum Museum findet sich eine neben einer Aufnahme von Ostern 1930 auf der Treppe der Oberrealschule mit Schülern der Obersekunda auf dem sich auch Edith Buxbaum, die Tochter des Arztes Siegfried Buxbaum befindet, dessen Vita ebenfalls ausgestellt ist. Dieser hatte im Dezember 1915 am Marktplatz 8, Eingang von der Barfüßergasse im Haus von Georg Stein eine Praxis eröffnet.

Im Nachgang zur Präsentation trug sich Bacow ins Goldene Buch der Stadt Grünberg ein und beantwortete zusammen mit anderen Delegationsmitgliedern Fragen der Schüler.

Weitere Präsentation

Eine Fortsetzung wird es am Donnerstag (27. September) um 19 Uhr in der Hospitalkirche neben dem Museum im Spital geben, wo dann neben der Präsentation der Biografien Schüler der TKS über die geführten Gespräche mit den jüdischen Nachkommen berichten werden. Anschließend können Exponate aus dem Schulprojekt in der Dauerausstellung im Museum im Spital besichtigt werden.

Die Veranstaltungen sind der Auftakt für weitere Projekte zum jüdischen Leben in Grünberg und sollen einen Diskurs darüber anregen, wie lebendiges Erinnern gemeinsam gestaltet werden kann.