Gießener Anzeiger vom 20.03.2019, S. 30

Außenminister Heiko Maas diskutiert mit Hanna Kießling und Joschua Geist. Foto: Schepp

Außenminister Heiko Maas stellt sich Fragen von Jugendlichen in der Theo-Koch-Schule

GRÜNBERG (hek). Ein Hauch von Weltpolitik wehte am Montagabend durch die Aula der Grünberger Theo-Koch-Schule, als sich Außenminister Heiko Maas den Fragen von Oberstufenschülern stellte. „Globalisierung und was daraus entsteht“ war das Thema der vierten Diskussion aus der Reihe „Die fünf Megatrends“, die der noch Landeschef der hessischen SPD, Thorsten Schäfer-Gümbel, ins Leben gerufen hat. Und so entspann sich vor rund 400 Interessierten ein rund 50 Minuten langer Dialog zwischen den Politik-Leistungskursschülern Joschua Geist und Hanna Kießling und Maas, der von der Situation in Venezuela über den Brexit, Handelskriege und Strafzölle bis zum gekündigten INFVertrag reichte. Dabei waren das die Themen, die die Grünberger Schüler interessierten. „Das ist die Absicht dieser Reihe, dass die Schüler die Fragen stellen können, die sie bewegen“, leitete Schäfer-Gümbel den Abend ein. Ein Abend der seine Annahme bestätigte, dass junge Menschen eher parteienverdrossen als politikverdrossen seien. Auf die Auftaktfrage nach einem politischen Vorbild, musste Maas allerdings passen. „Es gibt da viele interessante Menschen, die mich beeinflusst haben, wie Nelson Mandela, aber ein direktes Vorbild, dem ich nacheifere, habe ich nicht.“ Jeder habe seinen eigenen Stil, nach dem er Politik mache. Die erfordere aber auch die Einsicht, dass man nicht immer eine Mehrheit für die persönlichen Ansichten erzielen könne. So sei es ihm beispielsweise bei der Vorratsdatenspeicherung gegangen. „Ich war da eigentlich immer dagegen, doch weil die Bundesregierung das beschlossen hatte, musste ich als Justizminister sogar das Gesetz umsetzen“, blickte er zurück. „Das gehört aber zu einer Demokratie dazu.“ Eine Entscheidung, von der er dagegen komplett überzeugt sei, war die Anerkennung von Juan Guaidó als venezolanischer Interimspräsident. Denn auch wenn ein juristisches Gutachten des Bundestages die Anerkennung kritisch sehe, wie Hanna Kießling nachfragte, rechtfertige die Lage in dem südamerikanischen Land die Entscheidung. „Die Präsidentschaftswahlen 2018 waren gefälscht, sodass wir Nicolas Maduro nicht anerkannt haben. Guaidó hat dann auf Grundlage der venezolanischen Verfassung gehandelt und sich zum Interimspräsidenten ausgerufen.“ Dies in Verbindung mit der katastrophalen Situation im Land sei die Grundlage für die Anerkennung gewesen, die in Absprache mit anderen Ländern getroffen worden sei. Überhaupt erteilte der Außenminister nationalen Alleingängen eine Absage, denn die Globalisierung sorge auch dafür, dass „es keine Grenzen mehr gibt, auch wirtschaftlich“. Deswegen sei „die Rückbesinnung auf nationale Interessen, das Letzte, was wir brauchen, denn damit lösen wir keines der Probleme“. Dies gelte sowohl für den Klimawandel, Handelskriege als auch für die Abrüstung. Auch deswegen sieht der Politiker bei der EU vor allem an einer Stelle Verbesserungsbedarf: „Die EU muss außenpolitikfähig werden.“ Als ein gelungenes Beispiel führte Maas die Reaktion der Europäischen Union auf die amerikanischen Strafzölle an. „Die Zuständigkeit für die Verhandlungen liegt bei der EU-Kommission und es hat sich kein Land rauskaufen lassen.“ In dieser Geschlossenheit liege auch die einzige Chance der Europäer, gehört zu werden, denn die einzelnen EU-Mitglieder alleine seien zu klein, um Einfluss zu nehmen. „Das ist ein Beispiel, dass wir mehr und nicht weniger Europa brauchen.“ Und so verwunderte es auch nicht, dass der Außenminister den Brexit bedauert. „Am liebsten wäre mir ein zweites Referendum, mit dem der Austritt zurückgenommen wird“, verdeutlichte Maas. Allerdings glaubt er nicht daran, dass eine weitere Volksabstimmung zu dem Thema stattfinden werde. Deswegen müssten nun alle Bestrebungen darauf gerichtet werden, einen harten Brexit, also einen Ausstieg Englands aus der Europäischen Union ohne vertragliche Regelung, zu verhindern. „Der harte Brexit würde sowohl England als auch die EU wirtschaftlich schwächen und Arbeitsplätze kosten.“ Außerdem dürfe es nicht dazu kommen, dass die Grenze zwischen Irland und Nordirland, deren Abschaffung den Bürgerkrieg in Nordirland mit beendete, wieder entstehe. „Der Brexit darf nicht dazu führen, dass der Krieg wieder ausbricht“, warnte der Außenminister. Überzeugungsarbeit gelte es auch noch zu leisten, um nach der Kündigung des INF-Vertrages durch Russland und die USA eine neue „Rüstungskontrollarchitektur“ zu schaffen. Der Vertrag regelte, dass in Europa keine nuklearen, landgestützten Raketen aufgestellt und entwickelt werden dürfen. Für Maas macht aber eine Beschränkung auf ein bilaterales Abkommen zwischen den ehemaligen Supermächten und eine Einschränkung auf atomare Waffen keinen Sinn mehr. „Neben den USA und Russland müssen auch Indien, Pakistan und Nordkorea an einem neuen Abkommen beteiligt werden.“ Außerdem sehe er die größte Bedrohung nicht mehr in den Megabomben, sondern in Megabyte. So gelte es auch, neue Waffentechnologien in einen Vertrag einzuschließen. „Hier ist noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten, aber wir werden das Thema Rüstungskontrolle seit Langem mal wieder auf die Tagesordnung des UN-Sicherheitsrates setzen, wenn wir im April dort den Vorsitz haben“, blickte der Außenminister voraus.